Heftig, Likemag, Storyfilter & Co.: die neue Macht im Social Web

HeftigDas, was in den vergangenen Wochen bei 10000 Flies zu beobachten war, gab es in der Geschichte unseres Dienstes – ja in der Geschichte der sozialen Netzwerke – noch nie. Eine neue Art von Medien übernimmt die Macht, generiert mit ihren Artikel(che)n Zigtausende Likes und Shares. Seit in den USA Websites wie BuzzfeedUpworthy und viele andere aufpoppten, war es nur eine Frage der Zeit, bis es in Deutschland Nachahmer und Kopien geben würde. Große Verlage arbeiten gerüchtehalber daran, doch kleine – zum Teil mysteriöse – Anbieter kamen ihnen nun zuvor.

Drei deutschsprachige Websites erobern die sozialen Netzwerke – vor allem Facebook – nun im Sturm. Die Rede ist von Heftig, dem LikeMag und Storyfilter.com. Die beiden letztgenannten kommen interessanterweise aus der Schweiz, in der es nicht erst seit Blick am Abend und watson.ch die interessantesten Medien-Neustarts der jüngeren Vergangenheit zu geben scheint. Die eingangs angedeutete Sensation in der Historie von 10000 Flies sieht so aus: In der aktuellen Top 25 der Geschichten mit den meisten Flies, also Likes, Shares, Tweets, +1-Klicks, etc. in den vergangenen 30 Tagen finden sich 15 Artikel der drei genannten noch sehr neuen Websites, in der Top Ten ganze neun.

Insbesondere die Seite mit dem Namen Heftig ist unfassbar erfolgreich – und das nicht nur bei 10000 Flies. Laut der im Allgemeinen recht zuverlässigen Hochrechnungen von SimilarWeb überholte Heftig in Sachen Visits, also Besuchern der Website, im März – wenige Wochen nach Start – bereits solche Klick-Größen wie Handelsblatt.com und RP Online. Bei Facebook verfügt Heftig bereits über fast 500.000 Fans – und es kommt fast täglich eine fünfstellige Zahl hinzu. Da über 90% dieser Fans aus den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz stammen, gibt es auch keinerlei Hinweise oder Indizien, dass bei den Zahlen nachgeholfen wurde.

Bei 10000 Flies – und jetzt kommen wir zur größten Sensation – wird Heftig im April Platz 1 (!) im Like-Medien-Ranking (hier die März-Ausgabe) erobern und damit Giganten wie Spiegel Online und Bild.de verdrängen. Das LikeMag wird sich aller Voraussicht nach auf Platz 5 finden und StoryFilter wird den im vergangenen Monat eroberten Top-30-Platz in etwa bestätigen. Über 1,8 Mio. Reaktionen in den sozialen Netzwerken hat allein Heftig im April erreicht – und das mit nur etwa 100 Artikeln. Ein solcher Erfolg wird die deutsche Medienbranche nicht kalt lassen.

Gelungen ist das weniger mit „heftigen“ Themen, sondern mit Kuriosem und Pseudo-Kuriosem. Die Headlines der Heftig-Texte sind so formuliert, dass viel versprochen und oft nicht ganz gehalten wird. Typisch wie bei Upworthy & Co. heißt es da in Headlines: „Dieser Straßenmusiker bekam Kleingeld von einem Mädchen. Was danach geschah, hat die ganze Stadt verblüfft.“ oder „Eine Frau lernt einen obdachlosen Mann in Brasilien kennen. Ich hätte nie erraten, was als nächstes passiert.“ Doch zu groß scheint die Enttäuschung der Leser nicht zu sein, wenn sie auf die Headlines klicken, denn sonst wären nicht solche gigantischen Weiterempfehlungsraten zustande gekommen.

Ziemlich mysteriös ist im Fall von Heftig – und im Gegensatz zu den schweizerischen Websites LikeMag und Storyfilter – wer hinter der Seite steckt, die das Netz so schnell erobert. Im Impressum wird eine Firma im zentralamerikanischen Kleinst-Staat Belize genannt, die Domain .co stammt aus Kolumbien. Kein einziger Mitarbeiter ist bisher in Erscheinung getreten. Weitere interessante Recherchen hat Lars Wienand für die Rhein-Zeitung unternommen – doch auch er kam den Betreibern nicht auf die Spur. Laut seinem Artikel sind viele der Heftig-Inhalte mindestens inspiriert, wenn nicht dreist kopiert von englischen Angeboten wie viralnova.com. Aktualität spielt bei den meisten Geschichten keine Rolle, der Kuriositäts-Faktor ist der entscheidende. Mit Journalismus haben die Seiten auch nicht viel zu tun. Dennoch: Sämtliche große Verlage dürften spätestens jetzt überlegen, wie sie solche komplett auf den Erfolg in sozialen Netzwerken konzentrierten Angebote auch selbst an den Start bringen können. Die spannende Frage ist: Sind Heftig & Co. nur ein kurzfristiges Phänomen, das schnell wieder verschwinden wird, weil die Lust an den immergleichen Headlines abnehmen wird? Es sieht eher nach einer kleinen Medien-Revolution aus.

21 Kommentare

  • NetzBlogR

    1. Mai 2014

    Man muss sich nur mal anschauen, wie bild.de inzwischen die BILDplus-Inhalte anteasert. Genau das selbe Schema, mit dem offenbar Leute ins Online-Abo getrieben werden sollen („Raten Sie mal, wer mit Til Schweiger einen Film dreht“ mit einer schlechte Verfremdung von Didi Hallervorden). Es lässt sie also definitiv nicht kalt.

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  • Sven

    2. Mai 2014

    Zum Glück kann man ganz einfach die Freunde aussortieren, denen so ein Quatsch gefällt: http://tinyurl.com/heftig-fb

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  • Martin

    2. Mai 2014

    Naja, rotten.com genießt heutzutage auch keinerlei Relevanz mehr. Wahrscheinlich ein Hype allein für soziale Netzwerke. Da vielen ja immer wieder kuriose Beiträge…

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  • Fritz

    3. Mai 2014

    Eine Revolution ist das nicht, nur die logische Verstärkung eines Trends. Die Zeitungen optimieren schon die ganze Zeit in diesem Stil. Jetzt kommt noch das Formel-getriebene „Powerwriting“ aus den USA obendrauf. Dabei sind nicht einmal die Mechaniken neu. Einer der berühmtesten Direct-Response-Anzeigen aller Zeiten war nach genau diesem Headline-Muster gestrickt, das bei Heftig groß zu Ehren kommt ( http://read.bi/1mnUQY8 ).
    Zeitungen können logischerweise kaum mit diesen Viral-Aggregatoren mithalten, egal wie sie das Nachäffen. Der Trick bei „Heftig“ ist ja, das eine reine Übersetzungsarbeit von Content gemacht wird, der woanders schon „durchsetzungsstark“ gefunkt hat. Es handelt um parasitäre Verwurstung zweiten Grades, alle Stories kommen aus Kontexten, auch Verlagskontexten. Der oder die Veranstalter suchen sich die Gold-Nuggets heraus. Und machen nichts, was davon ablenken könnte, so dass User wunderbar den Heftig-Strem auf dem Smartphone durchgehen können und jedes Posting hat „bewährte“ virale Power.
    Verlage werden sich da logischerweise immer mit hinteren Plätzen begnügen müssen, jedenfalls wenn sie das Feld unter ihrer Marke und im Zeitungsformat beackern wollen. Teilweise machen sie zwar auch schon diese Top-0,1%-Content-Strategie, vor allem mit Photos und Videos bauen sie sich ihre Klickstrecken.
    Eine Möglichkeit gäbe es vielleicht, wie große Verlagshäuser das Modell für sich ausbeuten könnten … behalte ich jetzt aber lieber für mich, das möchte ich gar nicht erleben 😉

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  • S.v.Liebstöckelschuh

    3. Mai 2014

    Ein paarmal bin ich auch auf die wirklich neugierig machenden Headlines reingefallen, aber letztlich fand ich die Stories dahinter doch immer ziemlich billig und keinesfalls den hochgesteckten Erwartungen entsprechend. Hochgesteckt deswegen, weil eben die Überschriften etwas anderes suggerieren als das, was dann tatsächlich angeboten wird.

    Ich für meinen Teil habe die Neugierde jetzt im Griff und klicke keine heftig&co-Geschichtchen mehr an. Ich könnte mir vorstellen, dass auf diese Weise noch mehr Leute reagieren, aber andererseits gibt es sicherlich als Basis die breite Masse, die natürlich auf sensationsheischende Aufmacher fliegen und entsprechend klicken und teilen.

    Bestimmt werden einige Verlage versuchen aufzuspringen, schließlich ist Viralität des Contents die derzeitige Währung. Aber ich vermute, dass es insgesamt nur eine Welle ist, die nach einiger Zeit wieder abebbt und die User doch eher nach echten Inhalten und nicht nach aus viralen Gesichtspunkten generierten und aufbereiteten Stories suchen.

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  • Kurt Mueller

    4. Mai 2014

    Weia… Seiten, die die Welt nicht braucht.

    Die immergleiche Masche und Ansprache, schlechtes und/oder schlicht falsches Deutsch – wem’s gefällt. Es soll ja auch Leute geben, die den Srcipted-Reality-Dreck (neudeutsch für „frei erfunden“) freiwillig weggucken.

    Und es soll auch Leute geben, die für die Regenbogenpostillen und deren kreativen Umgang mit Wahrheit und Aktualität Geld bezahlen.

    Aber bei den genannten Webauftritten vermute ich: Deren Popularität kann man ihn Monaten messen. Wer in ’nem Vierteljahr noch Links auf heftig.co verschickt, wird von den Leuten auf seinem Verteiler mit einem Shitstorm bedacht…

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  • Klusenbreuker

    5. Mai 2014

    Schon die Strassenmusiker/Kind-Story ist reine PR einer Bank! Das ist nix weiter als viraler PR-Journalismus. Arm diejenigen, die darauf hereinfallen!! Schön wäre wirklich dahinter zu kommen, wer das betreibt. Anscheinend hat man etwas zu verbergen, sonst würde man sich nicht so verstecken.

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  • Wenzel

    20. Mai 2014

    Heftig! Der Name passt echt wie die Faust aufs Auge. Sehr interessante Beobachtungen. Mit der Webseite verhält es sich sehr ähnlich wie mit der bereits erwähnten Viralnova.com – der Inhalt ist ziemlicher Quatsch, dennoch kommt es zu unglaublichen viralen Effekten.

    Ich hoffe stark das Facebook diese Art von Webseiten start eindämmt. Sie hatten ja im letzten Newsfeed update scheinbar an ähnlichen Stellschrauben gedreht, aber wie es scheint nicht weit genug.

    Aber eins muss man den Leuten lassen, sie nutzen das System gekonnt aus – more power to them. Naja, wünsche ich mir eher nicht, aber Heftig isses schon!

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